Davids Tod

 

In: Der Jude, Heft 5, 1917

(Ein großes dunkles Gewölbe; links schwach erhellt auf prunkvollen Bett der sterbende König mit geschlossenen Augen.

Sonst ist nichts im Zimmer zu erkennen. Im Hintergrund recht zusammengekauert Abisag von Sunem)

 

David:

Schatten des Todes riesengroß

Umschwirren mein Haupt.

Was sind wir?  Rinnender Sand,

Verwehen, Verstieben,

Hinsinkendes Nichts –

Und die uns binden, die uralten Engel des Lichts

Und sammeln die Häufchen rinnenden Sandes

Zum Anschaun des ewigen Landes –

Wer begriff ihr heiliges Band

In solcher Stunde? –

Wer – wer vermag aus des Abgrunds Grunde

Zu lieben?

 

Wo ist sie, die leichte blühende Flamme

In tausend Gestalten,

In der ich mich fand?

Hier ist düsteres Land.

Irrend und schwirrend, gestaltlos wogend,

Flackernd gleitet es um mich her.

Will es sich bilden? will es mich bilden?

Ich weiß seinen Namen nicht mehr.

Es hat mich zu tief in sich selbst gezogen,

Es hat mir zu viele Gestalten von mir gelogen.

Wer bin ich?  Was hält mich die diesem Gefilden?

Wo ist sie, die stumme verhüllte Gestalt

In mir, die mich trüge?

Des Meinen klare Gewalt?

Wo bist Du mein Bruder?  Ich sehe Dich nicht.

Du verrinnst mir in Dunkel und Licht –

Wo sind sie – wo sind Deine heilig geliebten Züge?

Weh mir – ich finde nur Schatten,

Ich finde nur Geister,

Wo ist, der sie schafft?

Wo ist er, ihr einig weisender Führer,

Der Schatten lebenspendender Berührer,

Daß ich zu seinen Füßen sinke,

Seine Klarheit trinke

In lebendigem reinem Ermatten?

Wehe – dichter und dichter

Umdrängt mich der Schatten

Atembeklemmende Todesgewalt –

(Er erblicht Abisag, die in den Lichtkreis tritt)

Gestalt!  Gestalt!

Welch ewiger Strahl

Von göttlicher Reine zerreißt die Nacht!

Ein Strom lebendiger Tränen

Entstürzt dem geblendeten Aug

Und ich sehe.

Ich sehe Dich, o Schwester –

Aus ewiger Wogen Nacht

Rannst Du zusammen

Vor meiner lebendigen Seele.

Und um Dich ordnet sich sanft die Welt,

Die Welt mit unendlicher Bilder

Ruhiger Wonne.

Ich sehe die Sonne,

Der Sterne klare Gestalten

In reinem Kreise Dein Haupt umwalten

Ich seh Deinen Fuß die Erde treten,

Ich sehe Dein Auge glänzen und beten,

Und es blickt mich an:

Mich – und ich bin,

Ich lebe.

 

Wie klar ich nun in des Weltalls Mitte schwebe!

Wo wär’ ich, mein Bruder,

Du meine Schwester,

Wär’ nicht in mir

Die Kraft erwacht Dich zu bilden?

Daß ich Dich liebe, erschuf Dich,

Daß ich Dich sehe, erschuf mich –

Aneinander geworden

Ewiger Fülle Geheimnis

Bieten wir uns die Hand.

(Abisag tritt näher)

Nahe Dich, Liebliche!

Reich mir die Hand – doch bleibe

Ferner, daß ich Die sehe!

Meide verwirrende Nähe,

Löse verworrenes Wehe

Durch Deines Anblicks Gewalt!

Siehe – sie wählten mir Dich,

Wählten die reinste Gestalt,

Daß sie mir leichter erstünde,

Daß sie sich bilde und ründe

Rascher denn Flammen.

Friedvoll schließen sich mir

Die lieblichen Züge zusammen

Deines klaren Gesichts.

Nirgend entgleitet an Dir,

Nirgend der bildende Wunsch.

Ruhig versenkt sich das Auge

In die unsterbliche Wonne

Dich zu erschaffen.

(Abisag steht unbeweglich vor ihm)

Eingang und Ewigkeit.  Aus dieser Pforte

Wie bist Du schön.  Wie schlugst Du jähen Schlags

Des mächt’gen Tores schwarze Flügel zu,

Die schon geöffnet standen.  Weiß und groß

Erglänzt Dein reines Bild auf ihrer Nacht.

(Abisag wirft sich vor Davids Bett nieder)

Still, Kind.  Kein Wort von Dir – kein einzler Laut,

Der Dich zerstörte, der Dich löste – still –

Ich frage nicht nach Deinem Namen, nicht

Nach Deiner Seele – Du bist mehr als Du.

Steh auf!  Wie glänzest Du!  Ein weißer Schein erhebt

Dein Angesicht –

Und überströmt von Licht

Von den Flügeln des Lebens umflammt

Nahst Du Dich ihm.

Er hält meines Auges Gewalt:

Ein kreisendes Rad, ein Stern

Licht umeinandergeballt.

In des Todes schwarzen schäumenden Strudeln,

Im umschlingenden Wogen

Glänzt mir als Letztes einsam

Die Rose in Deinem Haar.

(Abisag reißt sich die Rose aus den Haaren und legt sie dem König aufs Herz)

Halt ein!  Zu spät!  Schon strudelt es herein,

Nachtwogen, Schatten, schwarzer Riesen-Rachen,

Gestaltlos grauses Übermaß.

Ich sehe Dich nicht mehr.

Leg Deinen Arm um mich!

Noch fühl ich Dich

Und Deines Wesens bindende Gewalt.

Sie scheucht der Schatten ungestümes Schwirren.

Lebendige Gestalt!

Dein Reich erlischt – ein tieferes Entwirren beginnt.

Der schön gefügte Bildertraum zerrinnt –

Auch er noch Schatten – Sommerwolken weiß

Und selig säumen ein verklärtes Blau –

So sanft vergehst Du – zitternd schwimmt die Au

In Glanz hinüber groß und still und heiß

In reinres Leuchten der Unendlichkeit.

Wie weit – wie ewig weit

Seh ich Dich schon,

Unsäglich schwankende

Himmelan wankende

Menschgestalt.

Doch weile – halte meinen Leib umfangen,

Du schon sich lösende; ein Andres naht.

In deinen Armen will ich hingelangen.

Du bist der Pfad.

Auf meinem Herzen brennt das weiße Licht

Der Rose.

Und Deine weißen Arme ziehn mich still

Von Deinem Anblick, der die Schatten band.

Von der Gestalt, in der ich mich erkannt,

Hinüber in das ewig Schattenlose.